„JR“ infiltriert den Orient-Express

Der französische Fotograf JR

Der Erfinder der „infiltrierenden Kunst“ hat einen Waggon des Venice Simplon-Orient-Express ausgestattet. Ist das Street-Art auf Schienen?

Eigentlich möchte er gar nicht mehr Street-Artist genannt werden: JR macht Kunst. Der französische Fotograf thematisiert mit seinen Werken die Missstände und Ungerechtigkeiten der Gesellschaft. Etwa an der US-Grenze zu Mexiko, wo er 2017 das überdimensionale Porträt eines Kindes über den Grenzzaun schauen ließ. Oder in seiner Montage mit Vertretern der Waffenlobby und Anhängern von Black Lives Matter, die 2018 auf der Titelseite des „Time“-Magazins erschien.

Der Sohn osteuropäischer und tunesischer Immigranten drehte mit Robert De Niro den Kurzfilm „Ellis“ auf der gleichnamigen Einwandererinsel vor New York. Er nutzte Ballett als Ausdrucksform und startete das Kunstprojekt „InsideOut“, in dem bis heute mehr als eine halbe Million Menschen weltweit ihr Porträt für die Plakatierung von Gebäuden zur Verfügung stellten. Ob in München, Paris, Los Angeles oder Rio de Janeiro: An vielen Orten tauchten schon die typischen schwarz-weißen Bilder auf. Sie „infiltrierten“ den öffentlichen Raum, wie JR es nennt, und regten zum Nachdenken an.

Ein Observatorium im Orient-Express

Mit Interior Design und Inneneinrichtung ist der Künstler bislang kaum in Erscheinung getreten. Darum darf Belmond stolz darauf sein, ihn für ein Projekt gewonnen zu haben. Das zur LVMH-Gruppe gehörende Unternehmen ließ einen Waggon des Venice Simplon-Orient-Express (VSOE) von JR ausstatten. Der Schlafwagen „L‘ Observatoire“ soll ab 2025 mit dem Luxuszug auf Reisen gehen.

Fahrgäste erwarten dann „verschiedene Umgebungen, in denen JR eine noch nie dagewesene Detailgenauigkeit einbrachte: ein Schlafzimmer mit Doppelbett, ein eigenes Bad, einen Kleiderschrank, ein Liegebett, eine Sitzecke, eine Bibliothek und eine geheime Teestube mit Kamin“, so der Veranstalter. Durch runde Fenster und ein Dachfenster an der Decke, dem der Waggon seinen Namen verdankt (Das Observatorium), können sie ihre Umgebung vorbeiziehen sehen.

JR und seine Leidenschaft für Züge

JR, der eigentlich Jean-René heißt, verbindet eine langjährige Geschichte mit dem Bahnfahren. Seine Jugend sei geprägt gewesen vom Blick aus dem Fenster und der Beobachtung der sich verändernden Landschaft, während er mit der Métro von Pariser Vororten aus in die Stadt fuhr, erklärt er auf seiner Website. Für „Women Are Heroes“ klebte er Augen auf die Außenseite von Zugwaggons in Kibera, Kenia. Seine Werke „Mind the Gap“ und „Eye Contact“ bestehen aus Hunderten Miniatur-Waggons, die sich zu einem größeren Bild zusammenfügen.

Über die finanziellen Aspekte der Kooperation ist nichts bekannt. Allerdings fotografiert JR normalerweise seine öffentlichen Installationen, um mit dem Verkauf der Fotos neue Aktionen zu finanzieren. So könnte es sein, dass der Luxuszug von LVMH indirekt zu diesem Sponsoring beiträgt – und eine Arbeit finanziert, die nichts weniger will als die Welt verändern. Interessenten für eine Reise im rollenden Kunstwerk können sich ab sofort auf der Webseite des VSOE registrieren.

JR im Waggon L’Observatoire. Venice Simplon-Orient-Express, Venedig, 2024 ©JR
JR im Waggon L’Observatoire. Venice Simplon-Orient-Express, Venedig, 2024 ©JR
JR in seinem Pariser Studio, wie er Zeichnungen des Waggons begutachtet. 2024 ©JR
JR in seinem Pariser Studio, wie er Zeichnungen des Waggons begutachtet. 2024 ©JR
Vom 17. bis 22. April war der Waggon in Venedig zu sehen. Venice Simplon-Orient-Express, 2024 ©JR
Vom 17. bis 22. April war der Waggon in Venedig zu sehen. Venice Simplon-Orient-Express, 2024 ©JR

 

Venice Simplon-Orient Express belmond.com

Video: Der Waggon in Venedig vimeo.com

Homepage von JR jr-art.net