HEY VIRGIL ABLOH

Virgil Abloh
„Weiße Götter“ nannte der US-Journalist und Schriftsteller Tom Wolfe die emigrierten Bauhaus-Designer in seinem Pamphlet über das berühmte Institut („From Bauhaus to our house“, 1981). Bei ihrer Ankunft aus Nazideutschland in den 1930er-Jahren hätten sich seine Landsleute geradezu „in den Staub geworfen“. Nun erhielt das schwarze Amerika eine späte Gelegenheit zur Revanche: Virgil Abloh, erfolgreicher DJ, Designer, Gründer des Labels Off-White und aktueller Kreativdirektor für Männermode bei Louis Vuitton, hat die Wandanlage von Braun neu gestaltet. Zum 100-jährigen Firmenjubiläum der Braun AG kleidete er ein Einzelstück der legendären Hi-Fi-Kombination von 1965 in blitzendes Chrom. Was das mit dem Bauhaus zu tun hat? Eine Menge, und auch wieder nicht. Kein anderes Unternehmen trug den Einfluss europäischer und insbesondere deutscher Gestaltungsprinzipien so erfolgreich hinaus in die Welt wie Braun.
Die Bauhaus-Schüler Herbert Hirche und Wilhelm Wagenfeld gaben dem Produktdesign Mitte des 20. Jahrhunderts eine neue Richtung. Max Bill gründete mit der Ulmer Hochschule für Gestaltung einen Thinktank, der Braun-Ikonen quasi am Fließband produzierte. So schwappte neben den Architekturideen eines Mies van der Rohe oder Walter Gropius auch eine Reihe zeitlos schöner Alltagsprodukte über den Teich: Elektrorasierer, Kaffee-mühlen, Radios, Toaster … Der stilprägende Einfluss war so groß, dass Apple noch 2007 einen Taschenrechner von Braun zum Vorbild für das virtuelle Exemplar auf dem iPhone nahm.
HEY VIRGIL ABLOH
Auch Virgil Abloh möchte seine Version als Verbeugung vor dem ursprünglichen Entwurf verstanden wissen: „Wenn ich drei großartige Designobjekte nennen sollte, die Wandanlage wäre dabei.“ Gleichzeitig hebt seine Interpretation das Produkt aus dem historischen Kontext heraus und gibt ihm eine neue Bedeutung. Am Bauhaus – und bei Braun – ging es stets darum, Gegenstände von unnötigem Ballast zu befreien. Je weniger Design, desto besser, lautete ein Grundsatz von Dieter Rams, dem visuellen Vater der Wandanlage. Deshalb nahm sich das ursprüngliche Quartett aus Steuergerät, Tonbandmaschine und Lautsprechern optisch zurück, stellte als Wandskulptur nur so viel zur Schau, wie für den Betrieb unbedingt nötig war. Ablohs Neuauflage zieht dagegen alle Blicke auf sich, schon wegen des auffälligen Materials. „Chrom hat eine lange Geschichte im Wertekanon schwarzer Ästhetik“, erklärt er im Video zur Kooperation. Der Glanz verleihe Bedeutung. Das gilt für die polierten Felgen an getunten Slab Cars der HipHop-Szene genauso wie für Panzerketten aus Platin und Goldzähne, die sogenannten Grillz. Wenn man so will, hat Virgil Abloh der Wandanlage ein neues, strahlendes Gebiss verpasst und sie in den Rang eines Statussymbols erhoben. Nach dem Motto: Bauhaus goes Bling-Bling. Dass er damit eher der Community ein Denkmal setzt als dem Designerbe von Braun, ist offensichtlich. Doch die Zeiten ändern sich, weiße Götter verlieren an Einfluss. Ein Braun-Rasierer des Jahrgangs 2021 hat mit den Modellen von damals ja auch nicht mehr viel gemeinsam. Im Vergleich mit dem Klassiker „Sixtant“ wirkt der aufgemotzte „Series 9“ in der FC-Bayern-Gold-Edition wie ein Slab Car neben einem Porsche 911 aus dem Jahr 1963.

 

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